Vom ersten Tag an top – Warum Onboarding über Karrieren entscheidet

Dr. Karsten Wetwitschka

Wenn neue Vorstände in ein Unternehmen kommen, scheint auf den ersten Blick vieles vorbereitet: Unterlagen zur Strategie liegen bereit, der IT-Zugang ist eingerichtet, der Kalender füllt sich rasch mit Gesprächen – mit Mitarbeitenden, Stakeholdern, Gremien. Der Empfang ist freundlich, der Ton professionell. 

Und dennoch: Für neue Vorstände fühlt sich der Start an, als müssten sie sich Ihren Weg durch einen dichten, unbekannten Urwald bahnen. Überall lauern Stolperfallen und Gefahren, die man nicht kommen sieht. In derart fremder Umgebung fällt die Orientierung schwer. Was zusätzlich belastet: In dieser frühen Phase sind Vorstände meist auf sich allein gestellt.

Dabei könnte der Weg deutlich leichter sein – vergleichbar mit einem Hochweg über das Dickicht des Urwaldes. Dieselbe Umgebung, aber besserer Überblick. Auf diesem Weg kommt man viel schneller ans Ziel. Vor allem ist die Wahrscheinlichkeit höher, das Ziel tatsächlich zu erreichen. 

Und genau das ist der Unterschied zwischen einem Onboarding mit hohen Risiken und einem Onboarding, das gelingt.

Fehlstarts sind teuer – finanziell wie persönlich

Dass die Risiken für neu berufene Vorstände erheblich sind, zeigen zahlreiche Studien. So kommt das Corporate Executive Board (2020) zu dem Ergebnis, dass mehr als 50 % aller neu berufenen Führungskräfte innerhalb der ersten 18 Monate scheitern – nicht aufgrund mangelnder Kompetenz oder Erfahrung, sondern meist wegen ineffektiver kultureller und politischer Integration​. Auch bei CEOs liegt die Ausfallquote zwischen 33 und 50 %, wie McKinsey (2023) belegt​​.

Die wirtschaftlichen Folgen eines gescheiterten Executive Hires sind enorm: Laut HEADS! -Studie belaufen sich die direkten und indirekten Kosten pro Fall auf rund 1,5 bis 2,7 Millionen Euro – ganz abgesehen vom Reputationsrisiko für Unternehmen und Aufsichtsrat​​.

Was neuen Vorständen häufig zum Verhängnis wird

Wer sich in einem anspruchsvollen Besetzungsprozess durchsetzt, möchte verständlicherweise schnell zeigen, dass er oder sie den Erwartungen gerecht wird. Der Impuls, frühzeitig mit Quick Wins, Zahlen und messbaren Erfolgen – harten Faktoren -  punkten zu wollen, ist auch für neue Vorstände nur allzu menschlich.

Doch genau hier liegt die Gefahr: Wer sich zu stark und zu früh auf die harten Faktoren fokussiert, riskiert, dass die neue Organisation einen neuen Vorstand schon abgelehnt hat, bevor er überhaupt richtig angekommen ist.

Eine gemeinsame Untersuchung von Genesis Advisers und Egon Zehnder (2017) hat deutlich gemacht, woran Top-Führungskräfte in den ersten Monaten tatsächlich scheitern​. Die Ergebnisse sind eindeutig – und sie stellen die verbreitete Vorstellungen infrage.

Es sind nicht die harten Faktoren, an denen Karrieren zu Beginn scheitern, Es sind weiche: 

  1. Unzureichendes Verständnis für die Organisation und ihre Machtzentren
    Wer hat tatsächlich Einfluss? Wie werden Entscheidungen getroffen? Wo liegen politische Fallstricke? Diese Aspekte sind selten dokumentiert – aber entscheidend für das Handeln.  

  2. Mangelndes Gespür für die Unternehmenskultur    Wie wird kommuniziert? Welches Verhalten ist akzeptiert, welches verpönt? Was wirkt glaubwürdig, was fremd? Wie lauten die ungeschriebenen Regeln? Ob der Ton der Organisation getroffen wird, ist entscheidend für den Aufbau von Akzeptanz und Vertrauen.

  3. Zu langsamer Aufbau eines belastbaren Netzwerks – insbesondere zu Peers
    Viele unterschätzen, wie essenziell tragfähige Allianzen im Vorstandsteam sind. Ohne sie fehlt Rückhalt – gerade dann, wenn die ersten kritischen Entscheidungen anstehen oder Widerstand aufkommt.

Andere Faktoren wie Marktkenntnis, Fachwissen, strategischer Weitblick oder effektive Entscheidungsfindung – sind ebenfalls wichtig, aber in der frühen Phase nachgeordnet.  

Unterstützung im Onboarding? Ja – aber nur halbherzig.

Ein weiterer Grund für das Scheitern neuer Vorstände liegt in der unzureichenden Unterstützung durch das Unternehmen.

Was gut funktioniert, ist meist das inhaltliche und formale Onboarding: Das administrative Onboarding läuft meist reibungslos: Technik, Zugänge, Ansprechpartner sind organisiert. Die strategische Einführung ist häufig professionell gestaltet, teils sogar mit externer Unterstützung (z.B. durch McKinsey oder EY), um neuen Vorständen innerhalb weniger Tage einen intensiven Überblick über Geschäftsmodell, Marktumfeld und Bilanzstruktur zu vermitteln. Auch formaljuristische und organisatorische Fragen wie Handelsregistereintragungen oder Compliance-Vorgaben sind in der Regel gut geregelt.

Doch bezüglich weiterer Herausforderungen ist die Unterstützung der Unternehmen oft signifikant schwächer – und das ist ein Problem:

  1. Klärung der Erwartungshaltungen
    Niemand wird in den Vorstand berufen, nur um vorherige Leistungen zu wiederholen. Jeder Wechsel ist mit – oft unausgesprochenen – Erwartungen verbunden: Was genau wird vom neuen Vorstand erwartet – strategisch, kulturell, menschlich? Welche konkreten Ergebnisse sollen bis wann geliefert werden? Wie gehen CEO, Aufsichtsrat und das bestehende Team mit der Neubesetzung um? Werden diese Fragen nicht aktiv geklärt, entsteht Raum für Missverständnisse – und die sind gerade in der Anfangszeit schwer zu korrigieren.

  2. Unterstützung bei Netzwerkaufbau und Entwicklung von Allianzen
    Neue Vorstände lernen die wichtigsten Stakeholder meist rasch kennen. Aber: Ein Kennenlern-Meeting ersetzt keine Beziehung. Wirklich hilfreich ist eine gezielte Vorbereitung auf diese Erstgespräche mit jedem Stakeholder: Welche Geschichte und Rolle hat der Gesprächspartner im Unternehmen – offiziell und inoffiziell? Welche persönliche Agenda verfolgt er oder sie? Wer hätte selbst gern die eigene Rolle übernommen – und wer könnte davon profitieren, wenn der neue Vorstand scheitern würde? Wenn diese essenziellen Hintergrundinformationen nicht zur Verfügung stehen, bleiben die Gespräche an der Oberfläche – und der Vorstand verpasst die Chance, eine Grundlage für belastbare Allianzen zu schaffen.

  3. Einführung in die Unternehmenskultur
    Kultur ist das vielleicht sensibelste Feld. Und gerade hier wird am wenigsten unterstützt. Welche Verhaltensweisen gelten als akzeptiert – und welche als irritierend? Was sind die ungeschriebenen Regeln? Welche unausgesprochenen Normen prägen das Miteinander im Vorstand? Wer diese Dinge nicht oder zu spät versteht, kann – unbeabsichtigt – falsche Signale senden und Vertrauen verspielen, noch bevor es aufgebaut wurde.

Nur weil jemand trockenen Fußes an Bord kommt, heißt das nicht, dass er weiß, wie man das Schiff steuert. Und genau das wird in vielen Unternehmen unterschätzt: Nicht die formale Übergabe zählt – sondern Unterstützung bei der Adressierung dieser weichen Faktoren.

Der Befund ist ernüchternd: Laut Genesis Advisers und Egon Zehnder bieten nur rund 2 % der Unternehmen ein strategisch integriertes Onboarding. Rund 66 % liefern zumindest eine Grundorientierung – aber bei rund 5 % lautet das Prinzip offen oder verdeckt: „Sink or Swim“: Wer sich nicht durchsetzt, war eben nicht geeignet​​. Das jedoch ist nicht Onboarding. Das ist Zufall. Oder im schlimmsten Fall: Survival of the Fittest.

Worauf es wirklich ankommt: Integration durch exzellentes Onboarding

Ein erfolgreicher Einstieg in den Vorstand ist kein Selbstläufer. Was es braucht, ist ein integriertes und gut koordiniertes Zusammenspiel – zwischen interner Unterstützung und externer Begleitung.

Einerseits schöpfen Unternehmen ihre Möglichkeiten, das Onboarding von Vorständen effektiv zu unterstützen, nicht vollständig aus. Andererseits liegt Top-Expertise in einigen Kompetenzfeldern außerhalb des Unternehmens, insbesondere im Executive Coaching (hinsichtlich der Adressierung der weichen Faktoren), in der Corporate Governance Beratung sowie der vollumfänglichen rechtliche Begleitung. 

Wenn die interne Unterstützung und externe Begleitung ineinandergreifen, kann Onboarding zu einem echten Erfolgsfaktor werden. Die Vorteile liegen auf der Hand – und sie lassen sich inzwischen auch empirisch belegen​​:

  • Die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns sinkt erheblich – ebenso wie die Folgekosten für das Unternehmen.

  • Die Time-to-Impact verkürzt sich spürbar – um nahezu 50%.

  • Der Vorstand kommt zur vollen Wirkung – im eigenen Interesse und dem des Unternehmens.  

  • Und der Aufsichtsrat gewinnt die Sicherheit, dass eine strategische Personalentscheidungen nicht durch strukturelle Versäumnisse gefährdet werden.

Fazit: Onboarding ist keine HR-Aufgabe. Onboarding liegt in der Verantwortung des Aufsichtsrates. Und: Es ist auch Leadership-Verantwortung, die ein neuer Vorstand für sich selbst wahrnimmt.  

„Vom ersten Tag an top“ – das ist keine Illusion. Es ist eine bewusste Entscheidung.

Quellen:

  • Mark Byford, Michael D. Watkins, Lena Triantogiannis: Onboarding Isn’t Enough, Harvard Business Review, 2017​

  • Michael D. Watkins: How Transition Advisors Accelerate Executive Onboarding and Integration​, Genesis Advisers LLC, 2017

  • Egon Zehnder: CEO Survey 2018

  • Carolyn Dewar, Gautam Kurma: Four steps to success for new CEO, McKinsey, 2023​

  • Carucci, Ron, Executives Fail to Execute Strategy Because They’re Too Internally Focussed, HBR, 2017

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